Gastautorin: Melanie Gath
Ihr Zuhause liegt auf 2795 m ü.M. und steht auf einer Felskanzel. Um sie herum eine atemberaubende Gletscherwelt. Seit 5 Jahren leben Nina und ihr Mann Toni dort oben hoch über dem Gadmertal am Steingletscher/Sustenpass. Nachdem sie die ersten zwei Jahre noch als Paar die Tierberglihütte führten, sind sie mittlerweile zu viert. Der kleine Yannick (2 Jahre alt) und seine Schwester Melina, seit Anfang des Jahres Teil der Familie, verstärken das Team.
Ein Leben, das für viele kaum vorstellbar ist – für Nina und Toni ist es ein gelebter Traum. Wie ihr Alltag auf der Hütte aussieht, hat mir Nina in einem offenen Gespräch erzählt.

“Yannick ist der harte Kern”, hält Nina fest. Während Toni und sie auch mal frei hätten und diese Zeit im Tal verbringen würden, sei Yannick – abgesehen von zwei Wochen im August, um “einen kleinen Sommer im Tal zu geniessen” – immer mit der jeweils anderen Person auf der Hütte. Denn ihn jedes Mal runter und wieder hoch zu tragen, sei bei mittlerweile 18kg einfach zu schwer. “Dieses Jahr versuchen wir es erstmals, mit ihm runter und wieder hoch zu wandern. Mal schauen – vielleicht ist er dann der erste Zweieinhalbjährige, der diesen Weg komplett selbst läuft”, sagt Nina.
Die Draussenzeit kommt nicht zu kurz
Ein guter Hüttentag hängt – genau wie beim Leben im Tal – von guten Schläfern und weniger guten Schläfern ab: “Melina schläft fast durch, wobei Yannick noch vier- bis fünfmal in der Nacht kommt.” Zwischen 6 und 7 Uhr sei die, für alle Beteiligten, eher kurze und unruhige Nacht, dann endgültig vorbei. Der Hüttentag starte aber natürlich noch früher – “Die Gäste wollen mehrheitlich so um 4 Uhr frühstücken.”
Wenn am Vormittag dann Küche, Boden, Betten gemacht werden müssen, helfe Yannick auch schon gerne mit. “Seitdem er auf der Welt ist, haben wir eine Person mehr angestellt, damit Toni, ich oder eine Hüttenhilfe Zeit mit Yannick verbringen kann”, sagt Nina. Drinnen könne er zwar schon auch alleine herumlaufen und sich ein wenig beschäftigen, “aber draussen geht es auf der einen Seite runter zum Gletscher. Und auf der anderen Seite geht es sogar 200 Meter steil runter.” Daher gebe es die Regel, dass Yannick nur mit Begleitung raus darf.

Diese Draussenzeit kommt aber auf keinen Fall zu kurz. Im Gegenteil. Denn Nina erklärt, dass Yannick nach dem Frühstück eigentlich immer direkt raus gehe und vor der Hütte, umgeben von der wunderschönen Gletscherwelt und hohen Felsen, spiele. Erst zum Mittagessen komme er wieder rein.
Den Mittagsschlaf der beiden Kinder nutzen die Eltern aus, da dann alle Gäste für Mittagesssen zurück kommen, bevor es am Nachmittag ganz ähnlich weitergeht. Eine Person spielt wann immer möglich draussen mit Yannick. Melina sei aktuell noch sehr einfach glücklich zu machen und gebe sich sozusagen mit Dabeisein zufrieden. Und die anderen kümmerten sich um die Gäste, das Kochen, den täglichen Bergführer-Apéro und um weitere anfallenden Arbeiten.

Zwei brenzlige Situationen
Für mich klingt das alles sehr durchdacht, gut organisiert und überlegt. Natürlich sei das Leben auf der Hütte aber nicht nur idyllisch, erklärt mir Nina während unseres Gesprächs. Es habe natürlich auch schon Momente gegeben, in denen sie das Leben als Familie auf der Hütte hinterfragt habe und ob der Ort das Richtige für die Kinder ist.
Zudem steht Nina oft im Zwiespalt zwischen ihrem Job als Hüttenwartin und ihrer Mami-Rolle. “Seit wir auf der Hütte sind, habe ich noch nicht einmal die Kinder ins Bett bringen können, weil ich abends das ganze Einkassieren übernehme. Yannick sagt dann oft: ´Mami, Bett tue.` Das bricht mir schon das Herz. Aber gestern konnte ich es tatsächlich endlich machen, weil wir nur fünf Gäste hatten.”
Der Lebensraum der Familie ist im Grunde die Küche, denn der Essbereich in der Hütte ist immer sehr voll. “Da lauern aber einfach sehr viele Gefahren – Gas, heisses Wasser, zu viele Dinge, die runterfallen können.” Damit ist der Spielplatz der Kinder praktisch primär draussen.

Zwischen Hüttentrubel und Familienzeit
Nina hat Respekt speziell vor diesem Jahr, weil Yannick und Melina aktuell sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben. Aber trotz aller Herausforderungen überwiegt für sie das Positive. „Toni ist da, wir sehen gemeinsam die Kinder aufwachsen.“ Wenn ihr der Hüttentrubel zu viel wird, zieht sie sich mit Yannick zurück – umgekehrt ist die Arbeit eine willkommene Ablenkung an einem eher intensiven Kinder-Tag.

Papa Toni ist selbst als Sohn zweier Bergführer auf einer Hütte aufgewachsen. Vielleicht mit ein Grund, warum sie heute ebenfalls dieses Familienleben in den Bergen führen? “Er hat das alles natürlich noch gut in Erinnerung”, sagt Nina. Die Helikopterflüge waren für ihn das Highlight – auch heute noch, und so jetzt auch für Yannick.“ Sein Zuhause seien schon immer die Berge gewesen. “Toni bewegt sich in den Bergen wie ein Bergführer, obwohl er ja keiner ist”, beobachtet sie.
Und bei ihrem Sohn sieht Nina jetzt schon ein ganz ähnliches Verhalten. Sie erzählt: “Tonis Mutter war mit Gästen hier oben am Berg auf Tour. Unterwegs haben sie Yannick mit unserer Hüttengehilfin bei einer kleinen Wanderung getroffen, wobei er an einem Fels vorbei nach unten lief.” Da habe die Bergführerin nur zu ihrer Gruppe gesagt: “So macht man das.” Nina freut sich: “Das macht er einfach intuitiv richtig, während wir Erwachsene uns oft verkrampfen, abstützen und komisch laufen.”

Gesundheit und Sicherheit – immer präsent
Ich selbst bin ein Bergmensch aus tiefstem Herzen und lebe immerhin auch auf 1000 m ü. M. Aber ich habe eine Bushaltestelle praktisch direkt vor dem Haus. Es gibt einen Dorfladen. Ich habe Zugang zu Ärzten und könnte in einem Notfall innerhalb einer halben Stunde im Spital sein, wenn etwas wäre. Das Thema ärztliche Versorgung ist für mich tatsächlich einer der grössten Sorgenpunkte, wenn ich an ein solches Hüttenleben auf über 2000 m ü. M. denke. Daher frage ich bei Nina neugierig nach. Wie macht ihr das? Wie geht ihr damit um?
Ein Thema, das Nina besonders beschäftigt, wie sie erzählt. Zwei Mal stand sie vor der Frage, ob die Rega nötig wäre, um es im Tal abklären zu lassen – „aber es braucht ja auch Flugwetter.“ Im Winter könnten sie notfalls in zwei Stunden mit Skiern im Tal sein. Nur ein einziges Mal haben sie tatsächlich bei Rega-Ärzten um Rat gefragt. Meist sei es eine Abwägung: „Wenn eines der Kinder krank ist, frage ich mich: Würde ich im Tal jetzt zum Arzt?"
"Ich muss aber auch sagen, dadurch, dass keines unserer Kinder in die Kita geht, kommen auch nicht so viele Viren und Bakterien zu uns. Dadurch haben wir sehr viel Glück, dass die Kinder nicht so oft krank sind”, Nina klopft dabei auf Holz. Aber sie glaubt auch, dass Yannick und Melina mit einem guten Immunsystem ausgestattet seien.

Naturkind mit Entdeckungsfreude
Ich ergänze, dass das Leben auf dieser Höhe inmitten der wilden Natur und das viele Draussensein sicher einen grossen Einfluss hat. Daraufhin sagt sie: „Yannick ist fast nur draussen. Er hat so viel Energie – drinnen zappelt er nur rum und würde uns die Hütte auf den Kopf stellen.“
Draussen könne man so viel mehr machen – da habe er richtig Freude. “Er kann einer Schnecke eine Stunde lang zuschauen, drinnen hält er keine zwei Minuten still.“
Steinmännli, Hühnerfedern und das Mini-Trampolin
Nachdem wir über einige Herausforderungen gesprochen haben, frage ich Nina nach ihrer Lieblingserinnerung aus der Zeit auf der Hütte. „Es wird immer schwerer, da eine konkrete Situation herauszusuchen. Es sind sehr, sehr viele kleine Dinge“, sagt sie. Besonders liebe sie, dass Yannick überall mithelfen wolle – ganz aus eigenem Antrieb. “Ich finde es zudem mega schön, dass Yannick durch das Leben auf der Hütte so offen ist”, ergänzt sie. Er sei gerne überall dabei und habe kaum Probleme, sich neuen Menschen gegenüber zu öffnen.
Mich beschäftigt weiterhin der Gedanke, dass Yannick in diesem wunderschönen, aber auch wilden Umfeld mit Gefahren rundherum aufwächst. Ich frage, wie diese Spielzeit draussen konkret aussieht.

Vor der Hütte gibt es eine Terrasse, ein kleines Podest und davor den Helikopterlandeplatz – dort stehen sein Sandkasten und ein Mini-Trampolin. “Aber er geht auch immer mehr auf Wanderschaft”, erklärt die Mama.
Als kürzlich das Grosi über den Klettersteig zu Besuch kam, sei sie mit ihm zum Ende des Klettersteigs gelaufen. Das sei schon ein Stückchen. Da sei auch das Grosi überrascht gewesen. “Dann bauen wir Steinmännli. Und wir gehen auch zur Klippe vor, um die Leute zu beobachten, die hochkommen oder runtergehen. Dann sind dort auch unsere Hühner, bei denen er gerne Zeit verbringt und die Eier holt”, beschreibt Nina. Und mit dem Laufrad drehe er seine Runden um die Hütte.

Ein Felsen-Garten ist eben kein Rasen
Auf fast 3000 m ü. M. ist die Natur rauer – keine Wiese hinter dem Haus, auf der man Räder schlagen kann. Wie erlebt die Familie diese Umgebung? Nina erzählt: „Als wir letztes Jahr für zwei Wochen ins Tal gingen, konnte Yannick anfangs kaum auf geradem Boden laufen – er ist ständig gestürzt. “Auch mit dem Barfusslaufen auf dem Rasen hat er sich erst mit der Zeit angefreundet.” Autofahren habe er anfangs auch gar nicht gemocht. Das Auto habe ihn völlig perplex gemacht. So auch die Bäume und der grosse “Laufraum”.

Ich bin kurz unsicher, ob ich die Frage stellen soll – aber schliesslich frage ich doch, wie es mit dem Hüttenleben für die Familie weitergehen soll, wenn Yannick und Melina in die Schule oder den Kindergarten kommen.
Nina lächelt. „Es gibt einen groben Plan: Ich möchte nicht, dass Yannick zu Hause unterrichtet wird. Kindergarten ist wichtig – um sich in das System einzufinden und dabei trotzdem Freude zu haben beim spielerischen Lernen, Basteln, etc…”
Doch so richtig aktuell wird das Thema zum Glück erst 2027. Bis dahin können wir diese herzliche Familie also weiterhin auf ihrer Tierberglihütte besuchen. Auf meiner Tourenliste ist es auf jeden Fall notiert und fest eingeplant.